Die Arbeit an den Mauern, die fast drei Meter hoch werden sollen, hat
schon begonnen. Von Nazi-Soldaten bewacht, schichten jьdische Mauer Ziegel
auf Ziegel. Wenn einer nicht schnell genug arbeitet, wird er von den
Aufsehern geschlagen. ich muss an unsere Sklaverei in Дgypten denken, wie
sie in der Bibel beschrieben ist. Aber wo ist der Moses, der uns aus
dieser neuen Knechtschaft fьhren wird?
Am Ende der Strassen, die noch nicht vцllig fьr den Verkehr gesperrt
sind, stehen deutsche Wachen. Deutsche und Polen dьrfen das abgesperrte
Viertel betreten, aber keine Pakete bei sich tragen. Das Gespenst des
Hungertodes steht uns allen vor Augen”.
Die Nazisverbrecher дusserten eine feine Erfindlichkeit beim
Einrichten des Ghettos. Als hдtten sie vorausgesehen, dass sie fьr ihre
Taten Verantwortung tragen werden (nicht die propagierte, sondern ganz
reale), machten sie alles so, dass es die Mцglichkeit gab, sich in einem
Gerichtsprozess zu verteidigen. Ein jeder Nazi, sogar derjenige, der ein
unmittelbarer Vollzieher der Rassentheorie, konnte die Beschuldung
ablehnen. Er hatte immer das Argument, er habe Folge dem Befehl des
Obergestellten geleistet, wenn das aber nicht funktionierte, er hatte noch
eine Chance, und zwar: er selbst habe niemanden totgeschlagen oder
geschossen. Die Juden starben selber. Er weiss nicht, woran das gelegen
habe - vielleicht am Hunger oder an der Kдlte. Diese Erscheinung befanden
sich aber ausserhalb seiner Befugnisse.
Inzwischen funktionierte der Mechanismus des Massenmordes weiter.
Kдlte, Hunger, Blokade und Beschrдnkung der Bewegungen arbeiteten mit
Nazis Hand in Hand zusammen:
“4. Januar 1941.
Das Ghetto liegt im tiefen Schnee. Es ist schrecklich kalt, und keine
Wohnung ist geheizt. Wo ich auch hingehe, finde ich die Menschen in Decken
gehьllt oder unter Federbetten zusammengekauert, soweit diese warmen
Sachen nicht schon von den Deutschen fьr ihre Soldaten beschlagnahmt
worden sind. Die bittere Kдlte macht die deutschen Posten, die an den
Ghettotoren Wache stehen, noch grausamer als sonst. Wenn sie durch den
tiefen Schnee auf und ab stapfen, schiessen sie von Zeit zu Zeit. Nur so,
um sich aufzuwдrmen. Viele Passanten werden ihre Opfer. Andere Wachen, die
sich wдhrend ihres dienstes langweilen, organisieren sich eine besondere
unterhaltung. Sie wдlen sich zum Beispiel ein Opfer unter den zufдllig
Vorьbergehenden und befehlen ihm sich mit dem Gesicht in den Schnee zu
werfen. Wenn er einen Barr trдgt, reissen sie ihn aus, bis der Schnee sich
vom Blut rot fдrbt. Falls so ein Nazi schlechter Laune ist, kann auch der
judische Polizist, der mit ihm Wache steht, das Opfer sein.
Gestern beobachtete ich, wie ein deutscher Gendarm einen judischen
Polizisten auf der Chlodna-Strasse, in der nдhe des Durchgangs vom grossen
zum kleinen Ghetto, “exertieren” lies. Der junge Mann war zum Schluss
vцllig auser Atem, aber der nazi zwang ihn weiter auf und nieder, bis er
in einer Blutlache zusammenbrach. Jemand rief nach einen Krankenwagen, und
der judische Polizist wurde auf eine Bahre gelegt und mit einem Handwagen
fortgebracht. Im ganzen Ghetto gibt es nur drei Krankenwagen, deswegen
werden meistens Handwagen benutzt...”.
Um sich zu versichern, dass getroffene Massnahmen effektiv sind,
beschrдnkten Nazisverbrecher die Lieferungen von Lebensmitteln nach
Ghetto.
“28. Februar 1941.
Die Brotknappheit wird immer schlimmer. Auf die Lebensmittelkarten
gibt es sehr wenig, und auf dem Schwarzen Markt kostet ein Pfund Brot
jetzt zehn Zloty. Das Brot ist schwarz und schmekt nach Sдgespдnen.
Weisses Brot kostet sogar 15 bis 17 Zloty. Auf der “arischen” Seite sind
die Preise viel niedriger”.
Und gleichzeitig wurde Ghetto mit neuen Opfern, die aus Fluchtlingen
bestanden, immer mehr bepackt. Es herrschte totale Antisanitдrie. Im
Winter 1941 zugefrorene Abwдsserrцren wurden nie renoviert. Der Mangel an
Arzneien fьhrte zur Gefahr der Cholera-Epidemie.
Das war aber nicht der Schluss, der den Becher des Unglьcks zum
Ьberlaufen bringen kцnnte. Der Mensch kann viel erdulden, wenn er in
psychologischer Ruhe ist. Das verstanden die Nazi und als das letzte
Mittel wurde von ihnen Desinformation erschцpferischen Charakters in Gang
gesetzt:
“17. April 1942.
Das ganze Ghetto war heute in Panikstimmung. Die Leute verschlossen
eilig ihre Lдden. Es lief ein Gerьcht um, dass ein besonderes
“Vernichtungskommando”, das schon den Pogrom in Lublin verьbt hat, in
Warschau angekommen sei, um auch hier ein Massaker zu organisieren”.
Wir haben die Zeilen nur von einem Menschen angefьrt.
Also nur von einem Opfer.
Insgesamt betrug die Zahl von Opfern 4800000 Menschen, unter denen
1600000 ums Leben gekommen sind.
IV. Exekutionen im Osten.
“Ich will hier vor Ihnen in aller Offenheit auch ein ganz schweres
Kapitel erwдhnen. Unter uns soll es einmal ganz offen ausgesprochen sein,
und trotzdem werden wir in der Цffentlichkeit nie darьber reden...
Ich meine jetzt die Judenevakuierung, die Ausrottung des jьdischen
Volkes. Es gehцrt zu den Dingen, die man leicht ausspricht.- “Das jьdische
Volk wird ausgerottet”, sagt ein jeder Parteigenosse, “ganz klar, steht in
unserem Program, Ausschaltung der Juden, Ausrottung, machen wir”... Von
allen, die so reden, hat keiner zugesehen, keiner hat es durchgestanden.
Von euch werden die meisten wissen, was es heisst, wenn 100 Leichen
beisammenliegen, wenn 50 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies
durchgestanden zu haben und dabei - abgesehen von Ausnahmen menschlicher
Schwдchen - anstдndig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies
ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt
unserer Geschichte”.
Heinrich Himmler in einer Rede vor
SS-Fьhrern in Posen am 4. Oktober 1943.
Exekutionen im Osten hatten ein vielfaltigen Charakter.
Dass Hitler in seinem Programm die Absichten дusserte, die
Untermenschen zu vernichten, zu denen ausser Juden auch Slaven gehцrten,
ist weltbekannt.
Die Handlungen von Nazis verbreiteten sich auf Russen, Polen,
Ukrainern, Tschechen und Slovaken. Bis jetzt sind die Stellen der
Massenmorde nicht zu vergessen.
Ein besonderer Punkt ist der Krieg mit Partisanen. Dass die Menschen
auf dem besetzten Gelдnde Widerstand leisten, war ausserhalb des deutschen
Verstдndnisses. Darьber hinaus wurden die Menschen, die an der Teilnahme
an der Partisanenbewegung verdдchtigt gewesen waren, sehr hart behandelt.
Zahlreiche Foltern, mittelдlterische Erfindlichkeit beim Umbringen,
Verfolgerungen der Verwandten bleiben bis jetzt im Gedдchtnis der
Цffentlichkeit.
Natьrlich wurden Juden von Nazis nicht ausser Acht gelassen.
Aus dem Tagebuch des SS-Hauptscharfьhrers Felix Landau.
“11.07.1941. Um 11 Uhr Abends kamen wir zurьck zur Dienststelle.
Hochbetrieb. Unten im Keller, den ich noch vormittags ausgerдumt habe,
stehen fьnfzig Hдftlinge, darunter zwei Frauen. Ich lцste sofort
freiwillig einen Kameraden - der bei diesen Wache hatte - ab. Fast alle
werden morgen erschossen. Die meisten Juden unter ihnen waren aus Wien.
Sie trдumten noch immer von Wien. Ich mache bis drei Uhr frьh des anderen
Tages Dienst. Hundemьde komme ich dann endlich um halb vier Uhr ins Bett.
12.7.41. Um sechs Uhr frьh werde ich plцtzlich aus meinem festen
Schlaf geweckt. Zur Execution antreten. Nun gut, spiele ich halt noch
Henker und anschliessend Totengrдber, warum nicht. Ist doch eigentьmlich,
da liebt man den Kampf und dann muss man wehrlose Menschen ьber den Haufen
schiessen. Dreiundzwanzig sollten erschossen werden. Darunter befinden
sich die schon erwдhnten Frauen. Sie sind zu bestaunen. Sie weigerten
sich, von uns auch nur ein Glas Wasser anzunehmen. Ich werde als Schьtze
eingeteilt und habe eventьll Flьchtende zu erschiessen. Wir fahren die
Landstrasse einige Kilometer entlang und gehen dann rechtseitig in einen
Wald. Wir sind nur sechs Mann augenblicklich und suchen nach einem
geeigneten Ort zum Erschiessen und Vergraben. Nach wenigen Minuten haben
wir so etwas gefunden. Die Todeskandidaten treten mit Schaufeln an, um ihr
eigenes Grab zu schaufeln. Zwei weinen von allen. Die anderen haben
bestimmt erstaunlichen Mut. Was wohl jetzt in diesem Augenblick in den
Gehirnen vorgehen mag? Ich glaub, jeder hat eine kleine Hoffnung,
irgendwie doch nicht erschossen zu werden. Die Todeskandidaten werden in
drei Schichten eingeteilt, da nicht so viele Schaufeln hier sind.
Eigentьmlich, in mir rьhrt sich nichts. Kein Mitleid, nichts. Es ist eben
so, und damit ist alles fьr mich erledigt...”.
Merkwьrdig ist, dass der Mensch, der Tagebьcher fьhrt und hat
vielleicht das Bedьrfnis, seine Taten einzuschдtzen, vцllige
Gleichgьltigkeit zeigt. Wir behandelten aber einen zu privaten Fall. Eine
mehr generalisierte Information stellt uns der gebietskomissar Gert Erren
in seinem Bericht “Freudigster Arbeitseinsatz” zur Verfьgung.
Punktualitдt, Sachkьndigkeit und schon erwдhnte vцllige Gleichgьltigkeit
verbinden sich in jeder Zeile. Wir fьhren nur diejenigen an, die unser
unmittelbares Thema betreffen:
Judentum:
“Bei meiner Ankunft zдhlte das Gebiet Slonim etwa 25000 Juden, davon
allein in der Stadt Slonim etwa 16000, also ьber zwei Drittel der gesamten
Stadtbevцlkerung. Ein Ghetto einzurichten war unmцglich, da weder
Stacheldraht noch Bewachungsmцglichkeiten vorhanden waren. Daher traf ich
von vornherein Vorbereitungen fьr eine kьnftige grцssere Aktion. Zunдchts
wurde die Enteignung durchgefьhrt und mit dem anfallenden Mobiliar und
Gerдt sдmtliche deutsche Dienststellen, einschliesslich
Wehrmachtquartiere, ausgestattet und so weit grosszьgige Hilfeleistung bei
anderen Gebieten gestellt, dass jetzt beim Anwachsen aller Dienststellen
bei mir selbst Mangel herrscht. Fьr Deutsche unbrauchbares Zeug wurde der
Stadt zum Verkauf an die Bevцlkerung freigegeben und der Erlцs der
Amtskasse zugefьrt. Dann folgte eine genaue Erfassung der Juden nach Zahl,
Alter und Beruf, eine Herausziehung aller Handwerker und Facharbeiter,
ihre Kenntlichmachung durch Ausweise und gesonderte Unterbringung. Die vom
SD am 13.11. durchgefьrte Aktion befreite mich von unnцtigen Fressern; und
die jetzt vorhandenen etwa 7000 Juden in der Stadt Slonim sind sдmtlich in
den Arbeitsprozess eingespannt, arbeiten willig aufgrund stдndiger
Todesangst und werden im Frьhjahr genauestens fьr eine weitere
Verminderung ьberprьft und aussortiert. Das flache Land wurde eine
Zeitlang grosszьgig von der Wehrmacht gesдubert; leider nur in Orten unter
eintausend Einwohnern. In den Rayonstдdten wird nach der Durchfьhrung der
hilfsarbeiten fьr die West-Ost-Bewegung das Judentum bis auf die
notwendigsten Handwerker und Facharbeiter ausgemerzt werden. Da die
Wehrmacht nicht mehr bereit ist, Aktionen auf dem flachen Lande
durchzufьhren, werde ich die gesamten Juden des Gebietes in zwei oder drei
Rayonstдdten zusammenfassen, nur in geschlossen Arbeitskolonnen einsetzen,
um damit endgьltig Schleichhandel und Partisanenunterstьtzung durch Juden
auszurotten. Die besten Fachkrдfte unter den Juden mьssen unter Aufsicht
in meinen Handwerkerschulen ihre Kunst intelligenten Lehrlingen
weitergeben, um einmal den Juden auch im Handwerk entbehrlich zu machen
und auszuschalten”.
V. Die “Aussiedlung” (1942).
“Aus dem Generalgouvernement werden jetzt, bei Lublin beginnend, die
Juden nach dem Osten abgeschoben. Es wird hier ein ziemlich barbarisches
und nicht mehr zu beschreibendes Verfahren angewandt, und von den Juden
selbst bleibt nicht mehr viel ьbrig. Im grossen kann man wohl feststellen,
dass 60 Prozent davon liquidiert werden mьssen, wдhrend nur 40 Prozent bei
der Arbeit eingesetzt werden kцnnen. Der ehemalige Gauleiter von Wien
(Globocnik), der diese Aktion durchfьhrt, tut das mit ziemlicher Umsicht
und auch mit einem Verfahren, das nicht allzu auffдllig wirkt”.
Josef Gцbbels in seinem Tagebuch am 27. Mдrz 1942.
Die Aussiedlung wurde aus vielen Grьnden durchgefьhrt. Zahlreiche KZ
wurden ьberfьllt. Deutsche meinten, es hatte keinen Sinn, die ganze Masse
von Hдftlingen “zu pflegen”. Sie brauchten Essen, Kleidung und eigentlich
medizinische Bedienung, mag sie auch ganz schlecht sein. Die Ausgaben
bewдhrten sich nicht. Es kam zur Notwendigkeit den grцssten Teil von
Hдftlingen loszuwerden.
Der Massenmord hдtte zu viel Zeit und Krдfte in Anspruch genommen. Die
Blokade und Hunger fьhrten zum Massenaussterben nicht. Es blieben also
viele Leute am Leben, trotz aller unmenschlischen Bedingungen.
1942 begannen Deutsche, Deportationen von Osten durchzumachen.
Das war ein neues Trauma fьr Hдftlinge. Man behauptet, dass sich der
Mensch an einen ganz schlimmen Alltag gewцnen kann. Diejenigen, die am
Leben blieben, finden die Unterstьtzung in einander. Jetzt wurden sie
voneinander getrennt und wurden gezwungen, alles wieder anzufangen, eine
neue Erfahrung des Auslebens einzuspeichern.
Eine der grцssten Aktion war die Deportation von Hдftlingen des schon
erwдhnten Warschauer Ghettos. Wir fьhren zwei Ausschnitte aus dem Tagebuch
eines Hдftlings ohne Kommentare anzugeben, weil die Situation in diesen
Notitzen vцllig geschildert ist:
“Mittwoch, 22.7.1942
Das ist also das Ende des Warschauer Ghettos, das seit fast zwei
Jahren verzweifelt um sein Leben gekдmpft hat. Heute Mittag wurden Plakate
geklebt, die die Aussiedlung aller Bewohner “nach Osten”, ohne Rьcksicht
auf Alter und Geschlecht, verkьndeten. Man braucht sich wohl nichts
vorzumachen - diese Ankьndigung ist das Todesurteil. Die Deutschen werden
nicht irgendwo “im Osten” Tausende von Menschen ansiedeln, sie ernдhren
und kleiden, dieselben Menschen, die sie in Warschau konsequent
aushungerten. Es erwartet sie ein schneller oder langsamer Tod. Vielleicht
gibt es nur Hoffnung fьr die Helfer der Deutschen, die von der Deportation
ausgeschlossen sind: die Arbeiter in Industrie und Handwerk, Polizisten,
das Personal des Judenrates und so weiter. Diese haben sogar das Recht,
Frauen und Kinder bei sich zu behalten. Aber die ьbrigen? Einen sehr
deutlichen Anhaltspunkt enthдlt diese zynische Anordnung: Jeder Aussiedler
darf 15 kg seines Eigentums als Reisegepдck mitnehmen. Es ist erlaubt,
alle Wertsachen, wie Geld, Schmuck, Gold mit sich zu fьhren. Aber Gold
durften die Juden doch seit einigen Monaten nicht mehr besitzen! Stellt
euch in eine Reihe, damit wir euch tцten, aber bringt die Wertsachen mit,
ihr erspart uns so viel Mьhe!
Das ist also die Erklдrung der Aufregung, die seit Anfang der Woche
hier um sich griff. Schon vorgestern liessen die Wachen an den
Ghettoausgдngen niemanden passieren. Gleichzeitig verhaftete man mehrere
hundert Personen und brachte sie, wie ich annehme, in den Pawiak, das
Gefдngnis. Es waren Дrzte, Rechtanwдlte, Frauen. Man sprach von Geiseln.
heute verstehe ich mehr. Man nahm sie gefangen, um die anderen in Ruhe zu
liquidieren. Ich verstehe und begreife die Juden nicht. Lassen sie sich
wie Hammel zur Schlachtbank fьhren? Finden sie keinen Ausdruck des
Protestes, der Verzweiflung? Unterdessen herrschte heute ein heilloses
Durcheinander. Mittags begann die Menschenjagd durch die jьdische Polizei.
Die Deutschen mischen sich nicht viel ein. Es gibt zwei Sorten von
Uniformierten: schwarze und grьne. Sie stellten an allen Ghettoausgдngen
Mascheinengewehre auf, und man hцrt fast ununterbrochen Schьsse - ich
vermute als Warnung. Aber diese wilde, unschцne Schiesserei dauerte schon
die ganze Nacht. Die Deutschen zielen mit ihren Gewehren in die Fenster
und schiessen mit Revolvern auf Passanten. Eine Дrztin aus dem
Kinderkrankenhaus in der Sienna-Strasse erzдhlte mir heute, dass es in
ihrem Gebдude kein Zimmer gibt, das nicht von aussen beschossen wurde.
Nun befasst man sich, wie es scheifnt, mit den Menschen, die nicht von
Nutzen sind. Bettler, Obdachlose und Umsiedler aus der Provinz werden
aufgegriffen und dann in grцsseren Gruppen zum Platz an der Stawki-Strasse
gefьhrt, wo ein Nebengleis der Eisenbahn endet. Unser Kundschafter war
dort und sah angeblich, wie man sie mit Hals und Gedrдnge in Gьterwagen
verlud und diese dann mit Stacheldraht verschloss. Schlimmer als Vieh. Es
regnet, und der Anblick dieses Elends, sagt er, wдre nicht zu ertragen.
Von frьh bis spдt kamen heute Dutzende von Menschen ins Bьro - manche
kannten wir kaum - und flehten um Aufnahme in die Arbeitsliste, um
Ausstellung einer Legitimation, um jede Art von Hilfe. Dies ist wirklich
unmцglich. Die allgemeine Panikstimmung und Angst, durch die andauernde
Schiesserei noch verstдrkt, ist so schrecklich, dass ich heute abend froh
war, das Ghetto zu verlassen. Als ich dann das nahezu normale Treiben auf
den Strassen Warschaus sah, konnte ich es nicht fassen, dass ganz in der
Nдhe Tausende von Menschen ins Jenseits “ausgesiedelt” werden”.
Dieser Zeit gehцrt der Begriff “auf der Flucht erschossen”. Tausend
Menschen wurden auf der Flucht erschossen, ohne keinen einzigen Versuch
wegzufliehen unternommen zu haben. Das Problem war, dass Deutsche keinen
Platz fьr Deportierte hatten. Viele von zu deportierenden schafften nicht,
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